fbpx
  • 26. April 2023
    Offener Brief vom 26.04.2023

    Entbürokratisierung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements

    Empfehlungen und Anregungen für eine höhere gesellschaftliche Wirkung

    An das

    Auswärtige Amt
    Bundesministerium für Bildung und Forschung
    Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend und das
    Bundesministerium für Finanzen
    Bundesministerium des Innern und für die Heimat
    Bundesministerium der Justiz
    Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

    z.K. an

    Mitglieder des Bundestages
    Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
    Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz

    Eine Initiative der Stiftung Bildung

    Unterzeichnende Organisationen

    Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF)
    Amadeu Antonio Stiftung
    Austausch e. V. – Für eine Europäische Zivilgesellschaft
    Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e.V. (bagfa)
    Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (BEVKi)
    Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
    Bundesverband der Kita- und Schulfördervereine e.V. (BSFV)
    Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CEMAS)
    Deutscher Fundraising Verband (DFRV)
    Diakonie Deutschland, Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
    Europäischer Austausch gGmbH
    Paritätischer Wohlfahrtsverband LV Berlin e.V.
    Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
    Das Progressive Zentrum
    Stiftung Bildung
    Stiftung Bürger für Bürger
    wirBERLIN gGmbH
    Zentrum Liberale Moderne

    Entbürokratisierung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements

    Zivilgesellschaftliches und bürgerschaftliches Engagement sind wichtige Säulen liberaler Demokratien und unseres demokratischen Miteinanders. Dass Menschen unsere Gesellschaft mitgestalten können, das macht Demokratien aus. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement ist vielfältig, es ist schnell und kontinuierlich, innovativ und kreativ. Es trägt maßgeblich zum Funktionieren und zur Weiterentwicklung unserer Demokratie und des gesellschaftlichen Miteinanders bei.

    Der Staat finanziert einen wichtigen Anteil zivilgesellschaftlicher Arbeit. Damit geht eine besondere Verantwortung einher, diese Mittel transparent und zielgenau auszugeben. Dies ist auch im Sinne des Staates. Dies hat uns ermutigt, Anregungen zur Entbürokratisierung und Erleichterung für Förderrichtlinien zusammenzustellen.

    Wir sind uns der Verantwortung und Rechenschaftspflicht bewusst, die die Förderung durch Steuermittel mit sich bringt. Einfache, angemessene, einheitliche und transparente Förderbedingungen können helfen, die bürokratischen Hürden auf beiden Seiten zu reduzieren. Die freiwerdenden Ressourcen können eingesetzt werden, um Projekte wirkungsvoller zu gestalten. So wird mit der gleichen Höhe Steuergeld mehr für unser aller Gemeinwohl und Gesellschaft erreicht.

    Zivilgesellschaft braucht gute Rahmenbedingungen

    In zivilgesellschaftlichen Initiativen entstehen häufig neue Ideen. Eine Förderpolitik sollte offen genug sein, diese neben notwendigen längerfristigen Strukturen zu erkennen und zu fördern. Hier muss ein gutes Maß gefunden werden zwischen der Förderung neuer, innovativer Ideen und der längerfristigen Förderung von Einrichtungen, Programmen und Initiativen, die sich bewährt haben und deren gesellschaftlicher Nutzen nicht in Frage steht.

    Überjährige und längerfristige Finanzierung / mehrjährige Projektlaufzeiten

    Kurze Projektlaufzeiten bei gleichzeitig hohen Wirkungsanforderungen stellen eine enorme Herausforderung für Organisationen dar. Zivilgesellschaftliche Strukturen bauen oft unschätzbare Expertise in verschiedenen Themenfeldern auf. Wir begrüßen es daher sehr, dass eine längerfristige Förderung als bisher vorgesehen ist. Das ermöglicht einen kontinuierlichen Wissensaufbau und -transfer, eine nachhaltige Wirkung von Projekten und Strukturen sowie Planungssicherheit und Beschäftigungssicherheit für Angestellte. Eine längerfristige Projektlaufzeit hilft, gutes Personal zu gewinnen und zu halten. Mehrjährige Projektlaufzeiten sind geboten. Die Fristen zwischen Antragstellung, Projektdurchführung und Projektabrechnung sind oftmals zu eng bemessen. Zur Nachhaltigkeit von Projekten gehört auch ausreichend Zeit für die Durchführung.

    Gute Arbeitsbedingungen: Angemessene finanzielle Ausstattung von Projekten und Personalstellen

    Arbeitsbedingungen in zivilgesellschaftlichen Initiativen sollten mit denen anderer Arbeitgebende vergleichbar sein. Dies erfordert eine angemessene finanzielle Ausstattung von Projekten. Qualifiziertes Personal braucht dabei angemessen ausgestattete Stellen. Eine längerfristige Projektlaufzeit hilft, gutes Personal zu gewinnen und zu halten. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels ist auch die Personalgewinnung sowie die Einarbeitung finanziell und zeitlich einzuplanen und zu finanzieren. Der Overhead, der die Gemeinkosten / Investition bspw. in Personal (Verwaltungskosten) begleicht, sollte kostendeckend ausgestaltet sein – auch das gehört zur Vergleichbarkeit der Arbeitsbedingungen.

    Absicherung im Rahmen von Regierungswechseln bzw. dem Beginn neuer Legislaturperioden

    Zur überjährigen Finanzierung gehört auch die Absicherung im Rahmen von Regierungswechseln bzw. dem Beginn neuer Legislaturperioden. Der Haushalt wird zu Beginn neuer Legislaturperioden häufig erst sehr spät beschlossen, es besteht erhebliche Planungsunsicherheit für Träger*innen.

    Einfache, angemessene, einheitliche, handhabbare und transparente Förderbedingungen

    Bundesministerien und ihre untergeordneten Behörden, Landesbehörden und private Geldgebende haben unterschiedliche Zuwendungsrichtlinien und zum Teil schwer zu durchdringende bürokratische Vorgaben.

    Ein erster Schritt könnte sein, für den Bund einheitliche Zuwendungsrichtlinien unter Berücksichtigung spezieller Kontexte und Anforderungen wie bspw. der Auslandsförderung zu nutzen, die auch für nichtprofessionelle Initiativen ohne eigene Verwaltungsinfrastruktur verständlich und umsetzbar sind. So wird sichergestellt, dass Fördermittel wirkungsvoll in den beantragten Projekten eingesetzt werden. Das entbindet nicht von notwendiger Kontrolle der verausgabten Gelder. Ausschreibungsregeln und Verwaltungsaufgaben sollten vereinfacht werden. Die Erleichterungen, die vorübergehend im Zuge der Pandemie oder im Rahmen von Krisen (bspw. Fluchtbewegungen, Kriegssituation in der Ukraine) galten, können hier beispielhaft sein.

    Projektentwicklung und -konzeption fördern

    Projektideen und -konzepte zu entwickeln und Projektmittel einzuwerben, ist Arbeit (Bedarfe analysieren, Lösungsansätze entwickeln, Anträge schreiben, Gespräche mit potentiellen und fördernden Partner*innen). Die Projektentwicklung nimmt häufig viel Zeit in Anspruch, die nicht finanziert wird. Dies in der Förderung angemessen zu berücksichtigen, wäre ein wichtiger Schritt zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und zur Stärkung ihres kreativen und innovativen Potentials.

    Evaluation und Projektabschluss fördern

    Gleiches gilt für die Projektabrechnung und das Erstellen der Abschlussberichte, die in der Regel nach Abschluss des Förderzeitraum geleistet werden müssen. Als Selbstverständlichkeit sollten die Evaluation und der Projektabschluss in die Förderung aufgenommen werden, denn es interessiert insbesondere, was durch das Projekt bewirkt und gesellschaftlich verändert werden konnte.

    Die Projektabrechnung sollte als fester Projektbestandteil in die Finanzierung der Projekte eingebunden werden. Bestenfalls sollten Ergebnisse durch Aufbereitung und Verbreitung für die Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Nicht selten jedoch werden gerade diese wichtigen Bausteine nicht gefördert. Dies gilt es in einer wissensbasierten Gesellschaft mit zunehmender (digitaler) Kommunikation im Rahmen der Projektförderung zu berücksichtigen.

    Projektvollfinanzierung

    Gerade für kleine und junge Organisationen ist das Einwerben von Mitteln ein sehr hoher Aufwand und eine meist komplett ehrenamtlich getragene Leistung. Aber für alle gilt, egal ob groß oder klein: Mehrere Fördernde zeitgleich einzuwerben, ohne eine Zusage des jeweils anderen Förderanteils vorweisen zu könne, stellt eine zusätzliche Hürde dar. Den meisten Organisationen fehlen ausreichende Eigenmittel als Alternative. Private Stiftungen sind häufig nur schwer davon zu begeistern, lediglich Fehlbedarfe öffentlicher Förderung aufzufüllen. Auch die Betreuung mehrerer Förderer während des Projektes vervielfacht den Aufwand. Deswegen ist eine Vollfinanzierung der Projektteilfinanzierung vorzuziehen.

    Öffnung von Förderprogrammen für den dritten Sektor

    Die deutsche Förderlandschaft auf Bundes- und Landesebene ist traditionell auf Akteure aus der Wirtschaft ausgerichtet. Hier besteht Handlungsbedarf in Form einer Aufwertung des dritten Sektors als relevanter Arbeitgebender in Deutschland.

    Es ist u. a. wünschenswert, dass weitere Fördermöglichkeiten zur Entwicklung nichttechnischer Innovationen für den dritten Sektor bereitgestellt werden sowie bestehende Programme für KMU zur Entwicklung von Innovationen für den dritten Sektor geöffnet werden. Das Gleiche gilt für Förderungen, die zur Unterstützung von KMU zur digitalen Transformation zur Verfügung gestellt werden.

    Zentrale Ansprechpartner*innen für kleine Organisationen

    Gerade für kleine Organisationen und Initiativen sind die Vorgaben für die Projektförderung häufig schwer zu durchschauen und umzusetzen. Sie sind jedoch häufig Innovationstreiber*innen. Für sie würde eine zentrale Anlaufstelle helfen, die bei Antragsstellung berät und begleitet.

    Vergabehöhen und Einholen von Vergleichsangeboten proportional zum Förderbudget festlegen

    Das Einholen von Vergleichsangeboten bei Ausschreibungen, Dienstleitungen, Honorarverträgen etc. ist ein der Transparenz zuträglicher Verwaltungsakt. Dennoch ist eine Überprüfung des Vorgehens zu empfehlen. Eine proportional an das Projektgesamtbudget angelehnte Staffelung könnte den Aufwand bei kleinen Projekten erheblich verringern und bei großen Projekten die Angemessenheit herstellen.

    Registerreform

    Eine zentrale Registrierungsstelle für Zuwendungsempfangende und Antragsstellende, z.B. ein „staatliches Förderregister“, welches als zentrale Stelle für die Landes- und Bundesebene sowie fördernde Stiftungen etc. fungieren würde, würde für Klarheit sorgen. Die einmalige Registrierung und das Aktuell-Halten der Daten von Zuwendungen empfangenden Organisationen an einer Stelle für alle Anträge würde zu einer immensen Zeitersparnis sowohl für Zuwendungsempfangende als auch Zuwendungsgebende führen. Im Rahmen einer Registerreform wäre es wünschenswert, wenn die unterschiedlichen Register (u.a. Vereins-, Stiftungs-, Transparenz-, Lobbyregister, zukünftiges Zuwendungsempfangendenregister, etc.) verschlankt und harmonisiert werden.

    Gemeinkostenpauschale = Gemeinwohlinvestition

    Die Gemeinkostenpauschale stärkt die Organisationen. Sie ist grundsätzlich eine Investition bspw. in Digitalisierung, Personal oder Strukturen – also eine Gemeinwohlinvestition. Sie verhindert das Ausbluten der Träger*in durch zuwendungsbasierte Projekte.

    Starke gemeinwohlorientierte Organisationen stärken die Demokratie und den Zusammenhalt und sie stehen auch insbesondere in Krisenzeiten schnell und aktiv bereit. Organisationen müssen

    • Personal finden und bereitstellen (Datenschutzbeauftragte*r, IT-Administration, Geschäftsführung, Buchhaltung, uvm.),
    • Büroräume anmieten, digitale Technik, Internet und Telefone bereitstellen,
    • die Lohnabrechnung erledigen, Konten führen uvm.
    • Fundraising betreiben, u.a. um Eigenmittel einbringen zu können, in Organisationsentwicklung zu investieren, freie finanzielle Mittel zur Krisenbewältigung zu haben
    • technisch und inhaltlich permanent reagieren (bspw. Transparenzregister, Lobbyregister, DSGVO, mobiles Arbeiten, interkulturelles Personalmanagement etc.).
    • Gewinnung und Koordination von Ehrenamtlichen

    Diese Kosten werden bestenfalls im Rahmen einer „Verwaltungskostenpauschale“ anteilig vergütet. Diese Pauschale sollte kostendeckend ausgestaltet sein. Eine Deckelung im niedrigen einstelligen Prozentbereich der Projektkosten erfüllt dies meist nicht. Eine Empfehlung sind 20% des Projektbudgets als Gemeinkostenpauschale.

    Der erkennbare Trend, statt eine Verwaltungskostenpauschale zu gewähren, eine kleinteiligen Einzelabrechnung anteiliger Verwaltungskosten zu verlangen, ist besorgniserregend. Dies führt zu einem unverhältnismäßigen Mehraufwand auf beiden Seiten – Zuwendungsgebende wie -empfangende – und am Ende zu einem ineffizienten Einsatz von Steuermitteln. Auch die Trennung von Kosten der Organisation und solcher mit konkretem Projektbezug ist für die zivilgesellschaftliche Praxis künstlich. Der Umfang, der für Verwaltung und Geschäftsführung der Projektträger nötig ist, wächst mit dem Umfang an Projektaktivitäten und ist von diesem nicht zu trennen.

    Wir möchten die Berücksichtigung unserer Empfehlungen und einen Diskurs darüber anregen. Für Rückfragen stehen wir gern zur Verfügung.

    Diese Stellungnahme zum Download

    Stellungnahme – Empfehlungen und Anregungen zur Entbürokratisierung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements für eine höhere gesellschaftliche Wirkung